In
dem Roman "Moskau - Petuški"
von Venedikt Erofeev erzählt der stets auf einem Wohlfühlpegel betrunkene Protagonist während
seiner Zugfahrt in die Heimat auf typisch russische Weise seine
Lebensgeschichte, gespickt von philosophischen Weisheiten, poetischen
Wahrheiten und betrunkenen Gemeinheiten. Zum Schwarzfahren hat er eine ganz klare Meinung: wer eine Fahrkarte kauft, ist ein Feigling und hält sich für etwas Besseres. Wenn man also von seinen Mitfahrern respektiert werden möchte, lässt man sich lieber ohne gültiges "Billjet" erwischen. Das Bußgeld für das Schwarzfahren wird im Buch direkt an
den Kontrolleur in Form von Alkoholika ausgezahlt. Pro Kilometer schenkt
man dem Zugbegleiter ein Gramm Wodka ein und er ist zufrieden.
So
einfach ist das in der Realität leider nicht. Trotzdem ist das
Schwarzfahren hier wohl eher die Regel als die Ausnahme und nimmt
schon sportliche Züge an.
Die
einfachste Form des Schwarzfahrens in Moskau ist in der Metro
möglich. Der ehrliche Passagier hält vor Abstieg in den Untergrund
eine Chipkarte an die elektronische Schranke am Eingang. Ist die
Fahrkarte ungültig oder wird erst gar keine Fahrkarte an den Sensor
gehalten, schießt blitzartig eine Stahlschranke aus der so harmlos
aussehenden Schleuse, die stechende Schmerzen im Oberschenkel
verursachen kann.
Wenn
man sich die 70 Cent pro Fahrt sparen möchte, muss man also
athletische Fähigkeiten an den Tag legen, um die Schranke zu
überspringen. Dies ist durchschnittlich alle fünf
Minuten in einer Metrostation zu beobachten. Wenn mal wieder jemand mit viel Schwung über die Absperrung springt, erklingt eine tetrisartige Melodie, die zum Ohrwurm taugt. Dies ist der Moment, in dem der Aufpasser neben der Schranke kurz warnend in
seine Trillerpfeife pustet und dann... passiert nichts. Der
Schwarzfahrer kann sich seelenruhig von den gerade entstandenen Strapazen auf
der langsam davonziehenden Rolltreppe erholen.
In
den Metrozügen gibt es keine Kontrolleure, die nochmal schauen, ob ein Ticket gelöst wurde. Mit ein wenig Muskelkraft
kann man also viel Geld sparen.
Etwas waghalsiger wird es, wenn man in den Stadt- und Regionalzügen nicht als blinder Passagier erwischt werden möchte. Dieses Phänomen durften wir bei unserer
Fahrt in der Elektritschka nach Sergejev Posad beobachten.
Wir
Deutschen, die sich über einen Ticketpreis von 6 Euro für eine 1
1/2-stündige Strecke freuen, bot sich ein kleiner Krimi, als die
drei Damen im roten Anorak das Abteil betraten, um die Tickets der Mitfahrenden zu kontrollieren. Mit einem Mal wurde es um uns herum
verdächtig leer. Die Hälfte der Fahrgäste war so unauffällig wie möglich aufgesprungen und zum anderen Ende des Wagons gelaufen,
um an der nächsten Station auszusteigen. Zu ihrem Glück hatte ein Fahrgast den Anschluss verpasst, weil er die Kontrolleurin erst bemerkte, als sie schon neben ihm stand. Der nicht ganz nüchterne Ertappte hatte aber genug Flüche gegenüber der resoluten Dame auf Lager, um für die restlichen Schwarzfahrer ein bisschen Zeit zu schinden.
Als
der Zug an der nächsten Haltestelle zum Stehen kam und dem armen
betrunkenen Tropf keine Beleidigungen mehr halfen, als ihm die
Wachmänner schon die Handschellen anlegten, begann ein Spektakel
außerhalb des Zuges, dass ich so in meinem Leben noch nie gesehen
habe.
Die Mitfahrer ohne gültiges Ticket – egal ob jung oder alt –
nahmen ihre Beine in die Hand, um so schnell wie möglich über den
Bahnsteig in den hinteren Zugteil zu gelangen, den die Damen im roten
Anorak bereits kontrolliert haben. Hier muss ich noch einmal
erwähnen, dass es sich dabei nicht um fünf oder zehn Personen handelte, sondern ca. 50 Leute an unserem Fenster vorbei flitzten.
Ein riskantes Unterfangen. Gerade bei den aktuellen Wetterbedingungen, wenn man schon in normaler Geschwindigkeit schnell die Balance auf den spiegelglatten Untergründen verliert. Ich bezahle jedenfalls weiterhin artig meine Fahrkarte. Schließlich hat man ja nicht immer eine Flasche Wodka in der Tasche.