Montag, 10. September 2012

iPhone statt Schreibblock - Mein erster Unitag

Nun, dass es nicht einfach für mich wird der Professorin inhaltlich zu folgen, habe ich mir schon vorher gedacht. Jedoch habe ich damit gerechnet, dass die Sprachbarriere daran schuld sein würde und nicht meine neuen Kommilitonen. Aber nochmal von vorn.

Heute stand für mich die erste Vorlesung an der MSU an: "Die Geschichte des russischen Journalismus". Also: dreimal nach der Raumnummer geschaut, um sie ja nicht zu vergessen, pünktlich das Haus verlassen, um nicht zu spät zu kommen und schnell mit dem Unigebäude vertraut gemacht, damit auch wirklich nichts schief gehen kann.

11.45Uhr
Ich betrete den Hörsaal und suche mir einen Platz in der fünften Reihe. Schließlich bin ich eine der ersten, die da ist. Da will man ja nicht kindisch sein und sich ganz nach hinten setzen.

11.48Uhr
Da sitz' ich nun. Wo bleiben die anderen Studenten? Mittlerweile haben sich ca. 20 junge Menschen im Raum eingefunden. Alle unterhalten sich heiter. Manche rufen sich Dinge zu, die ich nicht verstehe, und verlassen den Raum wieder.
Bin ich hier wirklich richtig? Hat sich vielleicht doch die Raumnummer geändert? - Nein, Tietze, du fragst nicht nach. Du musst dich ja nicht gleich an deinem ersten Tag als die Austauschstudentin outen. Beharrlich sein...

11.50Uhr
Jetzt sollte eigentlich die Vorlesung beginnen. Keine Professorin in Sicht und auch die Anzahl der Studenten hat sich nicht ersichtlich vergrößert.
Ich bleibe gaaanz ruhig.

11.55Uhr
Ah, da ist ja die Professorin! Und ich kann auch ihren ersten Worten entnehmen, dass ich in der richtigen Vorlesung sitze. Aber wo sind die anderen Studenten?

11.58Uhr
So langsam trudeln noch ca. 30 andere Lernwillige ein. Die meisten mit Kaffeebecher bewaffnet. Viele von ihnen habe ich schon vor Beginn der Vorlesung in Hörsaal gesehen, dann sind sie aber nochmal gegangen. Ja, die Pause will gut genutzt werden.


Nun versuche ich aufmerksam der Vorlesung zu folgen. Ich verstehe...

.........Journalismus.....................................im Jahre.......Wladimir................leider...........................................Journalisten...........................Zeitung..........

Ich sehe mich ein wenig um. Wer kein iPad dabei hat, der hat mindestens ein Apple MacBook vor sich stehen. Und wer sich auch das nicht leisten kann, hat zumindest einen dicken Apfelaufkleber auf seinem SIEMENS-Smartphone. Ich schaue auf mein schnödes LG-Handy. Es ist

12.20Uhr
Nun betritt auch die letzte Studentin mit Kaffeebecher den Raum.
Unbeirrt und ohne Skript in der Hand plaudert die Professorin munter weiter....

Tolstoi...................................im 19.Jahrhundert.................lesen....................................................Eindruck.............haben.......................................Referate.....

REFERATE? Moment. Alle schreiben hektisch etwas ins Notizbuch. Für die meisten das Erste und Einzige, was sie in der restlichen Vorlesung schreiben werden. Naja, irgendwer wird mir schon noch erklären, um was es ging. Ich schau mich lieber noch ein bisschen um.

Dass man sein Handy während der Vorlesung auf dem Tisch liegen hat, ist auch in meiner Uni in Deutschland Normalität. Aber dass man während der Vorlesung einen Anruf annimmt, während man nur 2 Meter von der Professorin entfernt ist, war selbst mir neu. Erreichbarkeit ist in Moskau anscheinend ein hohes Gut, das selbst von den Lehrenden akzeptiert wird. Da ist es auch nicht schlimm, wenn man erstmal mit dem iPhone ein paar Fotos von sich uns seiner besten Freundin schießt. Und wenn grad der Empfang nicht reicht, kann man ja auch auf altmodische Ablenkungsmittel zurückgreifen und in der ersten Reihe das Modemagazin seiner Wahl auspacken.


Du musst dich konzentrieren, Tietze...

Zeitungsartikel............................wichtig........Russlands Geschichte.............................Herrscher................................Iwan der Große...........

So eine 90-minütige Beschäftigungstherapie kann ganz schön anstrengend sein. Da kann man schon verstehen, wenn die ersten Köpfe auf die Bank beziehungsweise auf das iPhone sinken. Und wenn man gar nicht mehr kann geht man sich eben einen Kaffee holen. Braucht die Professorin auch einen? Interessiert keinen. Sie ja anscheinend auch nicht.


13.20Uhr
Die Vorlesung ist vorbei.
Jetzt erstmal schnell raus, einen Kaffee holen und die Freunde anrufen. Vielleicht hat man ja in den letzten 90 Minuten etwas Wichtiges verpasst.

2 Kommentare:

  1. Hey Tietze,
    großartig geschrieben. Lückentexte sollten eine eigene Kunstform werden!
    wegen neuzeitlichem russischen Journalismus check mal den 07.03. in der Zapp-Mediathek. http://www.ndr.de/flash/zapp/interactivePlayer.html?xml=zappsendung367-interactiveBroadcasts.xml&sr=zapp

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  2. das nächste mal kommentiere ich auf facebook. wordpress hat mir zuviele Sicherheitsvorkehrungen. Wenn ich jetzt auf Veröffentlichen klicke, passiert mir der ganze Check-Sh*t hoffentlich nicht nochmal.

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